Die Buche, die Mutter des Waldes - Beitrag zur Einweihung des Buchelesweibles in Mönsheim am 29.10.2022 von Dr. Regina Ostermann

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Maurer, sehr geehrter Herr Altbürgermeister Fritsch, liebe Mesemer Buchele, liebe Festgäste, mit der Anrede an Sie, liebe Mönsheimer, sind wir schon mitten im Thema und ich überfalle sie gleich mit der Frage – was sind denn Buchele?

„le“ steht für etwas Kleines, eine Verniedlichungsform und der Wortteil „buch“ für Buch. Ein kleines Buch also? Mitnichten. Der Begriff Buch leitet sich aus dem urgermanischen Begriff „buoch“ ab, das ist der Name für die Rotbuche, unserem häufigsten Laubbaum in mitteleuropäischen Wäldern.

Warum denn die Begriffsverwandtschaft mit dem uns bekannten Buch? Nun, ganz einfach, auf Buchenholzplättchen seien germanische Runen festgehalten worden und mehrere miteinander verbundene Buchholzplättchen ergeben – na ein Buch. Aber auch die superglatte dünne Borke der Buche regt dazu an Botschaften hinein zu ritzen, sie bleiben und wachsen weiter und manches Liebesherz wird heute noch wie zur Zeit der Germanen eingeritzt.

Ich gehe aber eher davon aus, es waren weniger Liebesschwüre als Orientierungsmarken und Grenzzeichen. Buchele stammt also von der Rotbuche. Sind es also wegen dem „le“ kleine Rotbuchen? Im Prinzip ja, denn im Samen stecken die genetischen Anlagen für den ganzen bis zu 45 m hoch werdenden Baum. Wir sind also beim Samen angelangt, den Bucheckern, wie sie im Fachjargon heißen, die botanisch aber
dreikantige Nüsschen sind. Sie stecken jeweils zu zweien in einer Hülle, der weichstacheligen Cupula.

Alle fünf bis zehn Jahre kann eine Rotbuche eine Vollmast haben, dann regnet es die Nüsschen nach der Reife als Massenware vom Baum, vom Buchenhimmel. Das ist eine großartige Leistung der Natur. Denn bald ein Drittel seines Jahresenergieaufwands steckt die Rotbuche in die Samenproduktion und zur Freude von Eichelhäher, Eichhörnchen, Bilchen und weiteren Nutznießern. Wir analysieren daraus also: Bucheckern,
Buchele, sind essbar. Dem haben auch die der Rotbuche namengebenden Botaniker Rechnung getragen. Die Buche ist nämlich eng verwandt mit den Eichen, die uns die Eicheln spenden. Und außerdem noch der Edelkastanie, deren Früchte bekanntermaßen die Maronen sind. Buche, Eiche und Edelkastanie sind die Familie der Fagaceen, der Buchengewächse. Und die Buche heißt in der botanischen Nomenklatur
Fagus sylvatica. Fagus kommt vom Griechischen „phagein“, essen und „phegos“ essbar. Eine Waldbaumfamilie also, die essbare Samen produziert und es nicht nur für diverse Vögel und Säugetiere sind, sondern auch für den Menschen. Allerdings sind Eicheln wegen des hohen Gerbsäuregehalts für uns auch nach küchentechnischer Behandlung nicht essbar, hingegen der Speck eines sich vom Eckerich, der Eichelmast,
ernährenden Wildschweins schon. Also sind auch Eicheln indirekt essbar. Vor Verbot der Waldweide Anfang 19.Jhd. hat der Schweinehirt die Hausschweine in den Wald getrieben, wenn es einen Eckerich, gab, um zum leiblichen Wohle des Schweinebesitzers die Tiere mit den dicken Eicheln und natürlich auch den Bucheckern zu mästen.

Bleiben wir aber bei den Bucheckern: Sie sind also essbar. Ich habe mir mal die Zusammensetzung angeschaut und feststellen müssen, die Dinger sind unglaublichnahrhaft. 100 Gramm enthalten 92 Gramm Fett, davon 7 Gramm gesättigte und 76 bis 80 Gramm ungesättigte Fettsäuren. Wegen der ungesättigten Fettsäuren also ungemein gesund! Roh sollten aber nur kleine Mengen verzehrt werden, sind doch für
uns Menschen und Mesemer Buchele giftige Inhaltsstoffe wie Blausäure, Oxalsäure und das Fagin, eine Gerbsäure darin enthalten. Sie sollten also besser geröstet oder mit heißem Wasser übergossen gegessen werden. Konzentrierter kann man sie zu sich nehmen, wenn man zuvor das Fett als Öl aus den Buchele herauspresst – was heute aber nur ein paar wenige Unternehmen noch tun.

Bucheckernöl ist ein rares – also kostbares Produkt auf dem Markt. Denn für einen Liter Öl braucht es 7 kg Bucheckern. Und das sind etwa 25.000 Buchele. Die aufzusammeln ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten desaströs, da sie ja auf dem Boden im Laub und mit Humus
vermischt liegen. Mich erinnert das an Aschenpuddels Schwiegermutter, die Erbsen und Linsen auf den Boden schüttet aus reiner Schikane ihr befiehlt sie getrennt wieder aufzusammeln. Heute sammeln nur noch ein paar wenige Liebhaber mit allerhand Technik die Bucheckern ein. Entsprechend sind dann 180 bis 230 € für dieses hochwertige Öl je Liter zu berappen – sofern es auf dem Markt überhaupt verfügbar ist.

Das gibt es also zur Buchecker, der Buchele zu sagen. Aber jetzt will ich noch auf die Bucheckerspenderin eingehen, der Rotbuche, den Baum selbst, die ja hier in Mönsheim wächst, sonst gäb es hier keine Buchele, weder als Gewannname noch als Name für die Mönsheimer. Mönsheim liegt – das gönne ich Ihnen von Herzen – mitten im Herzen von Mitteleuropa und das bedeutet – in der Mitte des ganzen weltweiten Rotbuchenwuchs- und Verbreitungsgebiets. Gäbe es keine Forstwirtschaft, so hätten wir in Mitteleuropa, auf allen mittleren Standorten die Rotbuche in Reinbeständen, überall da, wo es nicht zu trocken und nicht zu feucht ist, kein Grundwasser staut, wir gut übers Jahr verteilte
Niederschläge haben, wir außerhalb der Aue und nicht in den höchsten Gebirgshöhen liegen, also optimale Standortsvoraussetzungen haben. Warum die Rotbuche sich auf den für sie optimalen Standorten gegenüber allen anderen Baumarten sich durch setzte hat mit ihren  ökologischen Eigenschaften und der nacheiszeitlichen Waldgeschichte zu tun.

Wir wissen, es gab eine Eiszeit, die dauerte mit Eisvorstößen und Rückziehern mindestens 600.000 Jahre. Wegen Kälte und Eis sind Gehölze in Mitteleuropa weitgehend verschwunden. Vormals hier vorhandene Waldbäume haben nur im Mittelmeergebiet überlebt. Vor zehn bis zwölftausend Jahren klang allmählich die Eiszeit aus, die Gletscher zogen sich langsam zurück, gaben Boden wieder frei für Bewuchs. Da das Großklima sich besserte wanderten Bäume und Gehölze wieder um die Alpen herum zurück. In die nacheiszeitliche Tundra drangen für ein paar tausend Jahre Haseln vor und weil es noch wärmer wurde im Schlepptau auch Eichen.

Das waren lichte Wälder, mit den auch unsere alt- und jungsteinzeitlichen Vorfahren zurecht kommen mussten, nachdem sie Jahrtausende lang als Jäger und Sammler in den eis- und waldfreien Tundren gejagt hatten. Klima ist nichts Lineares. Es passierte Folgendes: es wurde ab ca 2.500 vor Christus kühler und feuchter. Diese Zeit nennt man das Atlantikum, feucht, wenig Fröste, wenig Extreme. Nun waren optimale Bedingungen für die Buche, sie hat die Chance ergriffen. Die Rotbuche eroberte Mitteleuropa. Dies war zu einer Zeit, da der Jungsteinzeitmensch – weil er vielleicht jagbares Wild schon ausgerottet hatte, um zu überleben sich auf pflanzliche Kost umstellen musste, also zum Ackerbauern wurde.

Der Ackerbau funktionierte aber nicht immer sofort und Versuche und Scheitern, neudeutsch trial & error waren Alltag. Also war er immer noch auf Jagen und Sammeln angewiesen. Wahrscheinlich hat der Jungsteinzeitmensch, indem er die Bucheckern sammelte, bunkerte, manchmal, vielleicht durch Stammesfehden verlor oder vergrub oder was auch immer auch zur Verbreitung der Rotbuche beigetragen.
Die Rotbuche jedenfalls hat unsere mitteleuropäischen Wälder übernommen und wuchs in wenigen Baumgenerationen auf den wie gesagt mittleren Standorten wo der Mensch sie ließ zu mächtigen Hallenwäldern heran.

Denn sie hat eine besondere Eigenschaft, sie kann lang viel Schatten vertragen als junger Baum, und wächst, wenn es Licht gibt, schnell hoch und duldet dann keinen anderen unter sich. So kommt es zu den von dem Romantikern vielbesungenen „grünen Waldesdom“, den „Heiligen Hallen“ der Buchen-Hallenwälder und im Mittelalter ließen sich die gotischen Kirchenbaumeister von ihnen inspirieren. Die himmelanstrebenden Säulen z.B. des Straßburger Münsters und vieler anderer gotischer Kathedralen vereinigen sich nach oben hin in ein Netzrippengewölbe, das zwar aus statischen Gründen so gebaut wurde wie es ist, aber dennoch die große Kathedrale, das natürliche Gotteshaus des
Buchenhallenwaldes versinnbildlicht.

Peter Klink hat das Kreative und Schaffende aufgegriffen, ich schließe nun meinen Vortrag über Schützendes und Nährendens, das ja im Titel meines Vortrags steht, die Buche, die Mutter des Waldes. Wir wissen nicht, wer dieses wunderschöne Sinnbild geschaffen hat. Ich kann Ihnen aber sagen, wenn ich in meinen Bauch hineinfühle und mich in einen Buchenwald oder unter eine Buche denke: es stimmt. Die Buche ist die
Mutter des Waldes. Heutige nüchterne Ökologen behaupten, das hänge mit ihrem positiven Einfluss auf den Waldboden zusammen. Ihr Laub und der Humus daraus. Ihre weitreichende Verwurzelung bereichert und pflegt den Boden, in dem es nur so kreucht und fleucht. Buchen, vor allem die alten, beherbergen Pilze und Moose und Flechten, wenig Insektenarten (in der glatten Rinde gibt es keine Nischen zum Verstecken
und leben), kaum Bodenvegetation, aber in den Höhlensystemen der Altbuchen wohnen Schwarzspecht, Stare und Waldtauben.

Ökologisch stimmt das alles, aber ich meine, die Buchen und Buchenwald sind weit mehr. Mein Försterfreund Norbert berichtete mir von seiner jüngst in hohem Alter verstorbenen Mutter aus Spaichingen am Albtrauf, die ihr halbes Leben bei Waldpflege und Holzmachen verbrachte. Sie
war tief im Volksglauben verwurzelt und sprach nur ehrfurchtsvoll von der Rotbuche. Von ihrer Mütterlichkeit, wie sie Schutz und Schirm bietet – ihre Sämlinge vor Frost und Sonnenstrahlen schützt, anderen Jungwuchs abwehrt. Schutz und Schirm bot sie aber auch mit den regelmäßigen Bucheckernerträgen unseren Ahnen, nährte sie in Notzeiten, wenn Ernten und jagbares Wild ausblieben, wärmte sie mit dem besten Brennholz, das unsere Wälder hergeben. Mütterlichkeit und Weiblichkeit, das ist nicht zu verleugnen, strahlt aber auch ihre glatte silbrige Borke aus. Ehrlich, einer groborkigen Eiche würde keiner diese Eigenschaft zugestehen.

Zurück aber nach Mönsheim und dem Buchelesweible. Ich habe mich gerne mit dieser großartigen Plastik Ihres Mönsheimer Künstlersohns Peter Klink auseinander gesetzt. Für mich ist sie eine Allegorie auf die Rotbuche – und diese wiederum eine Allegorie auf den Mönsheimer oder die Mönsheimerin. Aufrecht und stolz steht sie da, zurecht, sammelt sie doch, was schwer zu sammeln ist, ein. Profitiert von den kleinsten
Erträgen der Natur und entbietet ihnen Wertschätzung, und man kommt nicht umhin auch dieser vielleicht auch durch das Metallisch etwas spröden Person Wertschätzung zu entbieten. Sie ist eine der tragenden Säulen der Buchenhallenwaldkathedrale, Teil des großen Ganzen, Teil der Schöpfung und des Buchele.

Ich bin Dir, lieber Peter Klink, dankbar dafür, mit ein paar Worten hier Dein Werk und die Buchele in einen größeren Zusammenhang stellen zu dürfen. Mir hat es zu neuer alter Erkenntnis verholfen: Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume. Sie, liebe Mönsheimer, beglückwünsche ich zu Ihrem Kraftakt, diese Skulptur, diese wunderschöne Allegorie in Ihrer Mitte ermöglicht zu haben und dauerhaft den Besuchern
als Zeichen Ihrer inneren Verbundenheit mit Ihrer Landschaft, Ihrer Natur und Ihrer Identität hier manifestiert zu haben.
Herzlichen Dank Ihnen allen!